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Vor Kurzem habe ich mich mit einem Freund unterhalten, der vor einiger Zeit aus der sogenannten „Alpha-Male“-Bewegung ausgestiegen ist. Um seine Motivation, seine Gründe und Gedanken zu verstehen, habe ich mit ihm über seinen Weg gesprochen. Aus Respekt vor seiner Privatsphäre werde ich ihn im Folgenden Ben nennen, seinen echten Namen möchte er nicht öffentlich machen.
Ben erklärt seinen Wunsch nach Anonymität so: „Es geht um eine Zeit in meinem Leben, die sehr verletzend war. Auch wenn ich heute anders denke, trage ich Verantwortung für mein Verhalten. Ich hab Angst, dass Menschen (…) mich erkennen und verurteilen. Ich habe mir erst mühsam ein neues Umfeld aufgebaut in dem ich ich selbst sein kann. Genau das könnt ich dann wieder verlieren.“
Philine: Ben, wie bist du damals in diese Szene hineingerutscht?
Ben: Ich war 18, vielleicht gerade 19. Ziemlich orientierungslos. Ich wusste nicht, wer ich bin, wo ich hinwill. Aber ich wusste, wie ich gerade lebe, reicht es nicht. Ich wollte besser werden, körperlich, mental, einfach stärker. Es fing harmlos an: Fitness-Videos, Motivations-Talks, Disziplin-Challenges auf YouTube. Erst dachte ich, es geht nur um Selbstoptimierung.
Philine: Wann wurde daraus mehr als nur Motivation?
Ben: Das ging schleichend. Irgendwann waren es nicht mehr nur „Trainiere härter“-Clips, sondern „Du darfst keine Schwäche zeigen“, „Emotionen machen dich angreifbar“, „Frauen respektieren nur Alphamänner“. Und ich hab das geglaubt. Weil es sich in dem Moment wie Klarheit angefühlt hat. Wie eine Anleitung für ein Leben, das vorher chaotisch war.
Philine: Wie hat sich das auf deinen Blick auf Frauen ausgewirkt?
Ben: Am Anfang gar nicht so stark. Ich hab einfach diese Sprüche aufgeschnappt: „Frauen testen dich“, „Vertrau ihnen nicht zu sehr“, „Sie wollen geführt werden“. Und ich hab sie hingenommen, wie man Regeln beim Spiel lernt. Ich hab’s nicht hinterfragt. Irgendwann war da aber dieser unterschwellige Blick: Frauen als weich, als manipulierend, als emotional unzuverlässig zu sehen. Ich hab nie meine Mutter so gesehen. Sie ist stark, hat Karriere gemacht, lässt sich nie unterkriegen. Sie war für mich immer das Gegenbild. Und trotzdem hab ich angefangen, anderen Frauen mit Misstrauen zu begegnen. Ich hab das gar nicht mehr gemerkt. Das war wie ein Filter, der sich über alles gelegt hat.
Philine: Gab es einen Moment, in dem du stolz warst, ein „Alpha“ zu sein?
Ben: Ja leider. Es war dieses kalte Gefühl von Kontrolle. Wenn ich in einem Raum war und das Gefühl hatte: Ich hab hier die Macht. Das war toxisch, aber es hat sich für einen Moment wie Sicherheit angefühlt. Heute weiß ich, dass es nur Angst war, verkleidet als Stärke.
Philine: Was hat dir am meisten gefehlt in der ganzen Zeit?
Ben: Ehrliche Nähe. Ich hatte „Respekt“, „Anerkennung“, aber keine echten Gespräche, keine Verletzlichkeit, keine Verbindung. Und ohne das ist alles andere wertlos.
Philine: Gab es einen Punkt, an dem du realisiert hast: „Ich muss hier raus“?
Ben: Ja. Und der war ehrlich gesagt ziemlich banal. Eine gute Freundin von mir, hat mich auf ein Gespräch unter Freunden angesprochen, in dem ich meinte: „Emotionen machen Männer schwach.“ Sie hat mich nicht angeschrien, sie hat einfach nur gesagt: „Weißt du, du klingst, als würdest du dich vor dir selbst verstecken.“ Und dieser Satz hat mich richtig getroffen. Ich hab tagelang darüber nachgedacht. Und dann kamen die Fragen. Warum brauche ich so sehr Kontrolle? Warum verletzt mich der Gedanke, verletzlich zu sein, so sehr?
Philine: Was war deine Antwort auf die Fragen?
Ben: Ich hatte keine Antwort. Ich war leer. Alles, was ich mir aufgebaut hatte, Muskeln, Routinen, dieses Pseudo-Selbstbewusstsein, hat sich plötzlich angefühlt wie eine Rüstung, die ich nie ablegen konnte. Ich hab gemerkt, dass ich das alles gemacht habe, weil ich Angst hatte. Vor Ablehnung, vor Chaos und vor mir selbst.
Philine: Wie sah dein Ausstieg aus?
Ben: Ich hab radikal aussortiert. YouTube-Kanäle deabonniert, Insta-Profile gelöscht, Foren verlassen. Ich hab angefangen, wieder Kontakt mit Menschen zu suchen, die ich abgeschnitten hatte, auch Frauen. Ich hab das erste Mal richtig zugehört, statt nur zu analysieren oder zu bewerten.
Philine: Jetzt wo du älter bist, was würdest du deinem 18-jährigen Ich sagen?
Ben: Du bist nicht weniger Mann, wenn du dich fragst, wer du bist. Du bist nicht schwach, wenn du ehrlich bist. Und du brauchst keine Kontrolle, um sicher zu sein. Du brauchst Verbindung. Zu dir selbst und zu anderen.
Philine: Vielen lieben Dank für deine Zeit und die Möglichkeit über das Thema zu sprechen.
Ben: Gerne.
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